Professor lässt Revolution in Nassau lebendig werden

Rhein-Lahn-Zeitung, 13. Mai 2019:

Michael Kotulla begeisterte das Publikum als Referent der zweiten Burggespräche

Nassau. „Es ist gut zu wissen, woher man kommt.“ Das sagte Landrat Frank Puchtler im Rittersaal der Burg Nassau zu den historisch interessierten Zuhörern der 2. Nassauischen Burggespräche, deren Schirmherr er war. Die Burggespräche wurden mit der Unterstützung der Stadt Nassau, der G. und I. Leifheit Stiftung und der Nassauischen Sparkasse durchgeführt. Referent war Michael Kotulla, Professor an der Fakultät für Rechtsgeschichte der Universität Bielefeld, der über das Thema „Revolution in Nassau? – Das Herzogtum in den Jahren 1848/49“ sprach.

„Schwefelt die Dachse aus!“ und „Kein Fürst, kein Graf, kein Edelmann soll mehr existieren!“ soll die Menge vor dem Nassauer Schloss gerufen haben. Heftige und rohe Gewalt gegen Sachen und Menschen, Brand und Blut – so stellt man sich eine Revolution vor, die zum Umsturz der gesetzlichen Ordnung führt. Wie es sich bei der Revolte im Herzogtum Nassau mit massenhafter Beteiligung der Bauern 1848/1849 tatsächlich abgespielt hat, war das Thema dieses Abends. Kotulla wies auf Ursachen hin, stellte Zusammenhänge her und schilderte die Folgen der Ereignisse, „die trotz Rolle rückwärts bis in die heutige Zeit reichen“. Er machte das weder dröge noch nach professoraler Art, sondern ließ in seinem interaktiven Diavortrag Bilder nicht nur auf der Leinwand, sondern auch vor den inneren Augen der Zuhörer entstehen. „So ist Geschichte spannend“, war in der Pause aus dem Publikum zu hören, das sich bei einem kalten Büfett über den Vortrag austauschen und mit dem Fachmann ins Gespräch kommen konnte. Spannend war der Vortrag an diesem Abend tatsächlich – was nicht zuletzt an der persönlichen Art des Professors und seiner Bereitschaft lag, ausführlich auf die Fragen der Zuhörer einzugehen.

Worum es in seinem Vortrag genau ging? In Nassau gärte es als unmittelbare Folge der Februarrevolution von 1848 in Frankreich. Auch in Deutschland setzten 1848 revolutionäre Erhebungen ein – auch und nicht zuletzt im Herzogtum Nassau. Am 1. März 1848 wurden bei einem Treffen im Wiesbadener Hotel „Vier Jahreszeiten“ unter Federführung des liberalen Politikers August Hergenhahn neun „Forderungen der Nassauer“ formuliert, nämlich: allgemeine Volksbewaffnung, unbedingte Pressefreiheit, sofortige Einberufung eines deutschen Parlaments, sofortige Vereidigung des Militärs auf die Verfassung, Vereinigungsfreiheit, öffentliches und mündliches Strafgerichtsverfahren mit Schwurgerichten, Klärung des Domänenstreits, neues Wahlgesetz und Religionsfreiheit. Die Forderungen wurden am folgenden Tag bei einer Volksversammlung verkündet und von Wiesbaden aus durch Flugblätter und Mundpropaganda ins ganze Land getragen. Die Polizei griff nicht ein. Die Obrigkeit schien gelähmt. Am 4. März musste Herzog Adolf die Forderungen vor etwa 40 000 Menschen, die mit Äxten, Dreschflegeln, Heugabeln und Sensen eigens nach Wiesbaden geeilt waren, akzeptieren. Eskalation drohte, doch das Militär hielt sich zurück.

Solche und ähnliche Informationen vermittelte Kotulla den Zuhörern auch im weiteren Verlauf seines Vortrags: wortgewandt, lebendig, systematisch, chronologisch und Schritt für Schritt, ohne die historischen, sozialen und wirtschaftlichen Zusammenhänge außer Acht zu lassen. So entwickelte sich bei den Zuhörern eine Vorstellung von den Ereignissen, angefangen beim Vormärz bis zur „Landesherrlichen Proklamation vom 5. März“, mit der Herzog Adolph die Einhaltung der Forderungen zusicherte.

Weitere Themen waren die Urwahlen und die Nationalversammlung am 18. April 1848 sowie die Deputiertenwahl am 1. Mai 1848 und schließlich das Aufflackern der Revolution auf dem Land. Dabei wurde deutlich, dass es keine Zukunft ohne die geistige Durchdringung der Vergangenheit geben kann und die Identität eines Staatsvolkes auch durch die Geschichte begründet wird, weil seine Menschen Antworten auf die Fragen suchen, woher sie kommen, wo sie stehen und wohin sie gehen wollen.

Karl-Heinz Wolter

Weder dröge noch professoral: Nicht zuletzt an Michael Kotullas anschaulichem Vortragsstil lag es, dass sein Vortrag bestens ankam. Foto: Wolter