Leifheit-Stiftung unterstützt den Sozialkompass Nassau

Rhein-Lahn-Zeitung, 25. Mai 2018:

Netzwerk 30 000 Euro zur Deckung laufender Kosten des Vereins – Beratungsstelle sucht Nachfolger für Beratungsangebot

Nassau. Mehr als 530 Menschen haben in diesem Jahr bereits Rat und Hilfe beim Sozialkompass Nassau in Anspruch genommen. Der Verein ist ein Netzwerk von 30 sozialen Institutionen und engagierten Einzelpersonen. Herzstück des Sozialkompasses ist das Beratungszentrum in der Gerhart- Hauptmann-Straße. „Die Menschen kommen aus der gesamten Verbandsgemeinde, aber auch aus Bad Ems und Umgebung zu uns“, sagt Schatzmeister Horst Engel. Er nahm nun die Zusage über eine Förderung in Höhe von 30 000 Euro entgegen, die von der G. und I. Leifheit-Stiftung zur Verfügung gestellt wird. „Es ist der Stiftung sehr wichtig, dass es eine solche Anlaufstelle in Nassau gibt“, sagte Geschäftsführer Ingo Nehrbaß.

„Zu uns kommen die Leute, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen“, sagt Peter Nettesheim, der das Beratungszentrum 2009 gemeinsam mit Günther Höltken aufbaute. Es bietet Lebensberatung und beantwortet Fragen im Zusammenhang mit dem gesamten Sozialrecht und zum Betreuungsrecht. Außerdem hilft man beim Ausfüllen von Formularen und begleitet Hilfesuchende zu Behörden. „Anträge und Formulare werden immer komplexer“, sagt Nehrbaß, und Engel zufolge wird den Menschen in den Behörden nicht immer weitergeholfen. Der gelernte Verwaltungsangestellte sagt: „Ich weiß manchmal auch nicht, was die Behörden verlangen.“ Bei Bedarf vermittelt das Beratungsbüro des Sozialkompasses an die passenden Netzwerkpartner.

Die G. und I. Leifheit-Stiftung ist seit Jahren ein Förderer des Beratungsangebots und des Sozialkompasses. Seit 2012 unterstützt die Stiftung das Büro, und die Idee zur Gründung eines Netzwerks brachte im Folgejahr ebenfalls die Stiftung auf. Seit der Vereinsgründung 2015 finanziert man den Sozialkompass Nassau. Die jetzt bewilligten Mittel für 2018 sind zur Deckung laufender Kosten.

Um das Beratungsangebot aufrechterhalten zu können, sucht der Sozialkompass derzeit einen Nachfolger für Peter Nettesheim. Er hört Ende des Jahres altersbedingt auf und möchte seine Aufgaben in gute Hände legen. Das Anforderungsprofil für die Honorarkraft, die 15 bis 20 Stunden pro Woche zur Verfügung stehen soll, ist klar umrissen. „Man muss die Menschen pädagogisch und psychologisch betreuen und sich im Umgang mit Behörden und Institutionen auskennen“, sagt Nettesheim. Kurz: Man benötigt ein Händchen für die Menschen und viel Empathie. Außerdem sind Einsatzwille und Herzblut gefragt. „Eine Ausbildung im Bereich Sozialpädagogik ist nicht zwingend, aber wünschenswert“, so Nettesheim, der vor der Rente bei der Stiftung Scheuern arbeitete. Seinem Nachfolger möchte Nettesheim sein Wissen und seine Erfahrung in einer Übergangszeit weitergeben. crz

Die Sprechstunden des Beratungszentrums in der Gerhart-Hauptmann-Straße sind montags von 9 bis 13 Uhr, mittwochs von 13 bis 17 Uhr, freitags von 10 bis 15 Uhr. Dienstags und donnerstags sind Beratungen nach telefonischer Vereinbarung möglich, 02604/952 38 01.

Professor lässt Revolution in Nassau lebendig werden

Rhein-Lahn-Zeitung, 13. Mai 2019:

Michael Kotulla begeisterte das Publikum als Referent der zweiten Burggespräche

Nassau. „Es ist gut zu wissen, woher man kommt.“ Das sagte Landrat Frank Puchtler im Rittersaal der Burg Nassau zu den historisch interessierten Zuhörern der 2. Nassauischen Burggespräche, deren Schirmherr er war. Die Burggespräche wurden mit der Unterstützung der Stadt Nassau, der G. und I. Leifheit Stiftung und der Nassauischen Sparkasse durchgeführt. Referent war Michael Kotulla, Professor an der Fakultät für Rechtsgeschichte der Universität Bielefeld, der über das Thema „Revolution in Nassau? – Das Herzogtum in den Jahren 1848/49“ sprach.

„Schwefelt die Dachse aus!“ und „Kein Fürst, kein Graf, kein Edelmann soll mehr existieren!“ soll die Menge vor dem Nassauer Schloss gerufen haben. Heftige und rohe Gewalt gegen Sachen und Menschen, Brand und Blut – so stellt man sich eine Revolution vor, die zum Umsturz der gesetzlichen Ordnung führt. Wie es sich bei der Revolte im Herzogtum Nassau mit massenhafter Beteiligung der Bauern 1848/1849 tatsächlich abgespielt hat, war das Thema dieses Abends. Kotulla wies auf Ursachen hin, stellte Zusammenhänge her und schilderte die Folgen der Ereignisse, „die trotz Rolle rückwärts bis in die heutige Zeit reichen“. Er machte das weder dröge noch nach professoraler Art, sondern ließ in seinem interaktiven Diavortrag Bilder nicht nur auf der Leinwand, sondern auch vor den inneren Augen der Zuhörer entstehen. „So ist Geschichte spannend“, war in der Pause aus dem Publikum zu hören, das sich bei einem kalten Büfett über den Vortrag austauschen und mit dem Fachmann ins Gespräch kommen konnte. Spannend war der Vortrag an diesem Abend tatsächlich – was nicht zuletzt an der persönlichen Art des Professors und seiner Bereitschaft lag, ausführlich auf die Fragen der Zuhörer einzugehen.

Worum es in seinem Vortrag genau ging? In Nassau gärte es als unmittelbare Folge der Februarrevolution von 1848 in Frankreich. Auch in Deutschland setzten 1848 revolutionäre Erhebungen ein – auch und nicht zuletzt im Herzogtum Nassau. Am 1. März 1848 wurden bei einem Treffen im Wiesbadener Hotel „Vier Jahreszeiten“ unter Federführung des liberalen Politikers August Hergenhahn neun „Forderungen der Nassauer“ formuliert, nämlich: allgemeine Volksbewaffnung, unbedingte Pressefreiheit, sofortige Einberufung eines deutschen Parlaments, sofortige Vereidigung des Militärs auf die Verfassung, Vereinigungsfreiheit, öffentliches und mündliches Strafgerichtsverfahren mit Schwurgerichten, Klärung des Domänenstreits, neues Wahlgesetz und Religionsfreiheit. Die Forderungen wurden am folgenden Tag bei einer Volksversammlung verkündet und von Wiesbaden aus durch Flugblätter und Mundpropaganda ins ganze Land getragen. Die Polizei griff nicht ein. Die Obrigkeit schien gelähmt. Am 4. März musste Herzog Adolf die Forderungen vor etwa 40 000 Menschen, die mit Äxten, Dreschflegeln, Heugabeln und Sensen eigens nach Wiesbaden geeilt waren, akzeptieren. Eskalation drohte, doch das Militär hielt sich zurück.

Solche und ähnliche Informationen vermittelte Kotulla den Zuhörern auch im weiteren Verlauf seines Vortrags: wortgewandt, lebendig, systematisch, chronologisch und Schritt für Schritt, ohne die historischen, sozialen und wirtschaftlichen Zusammenhänge außer Acht zu lassen. So entwickelte sich bei den Zuhörern eine Vorstellung von den Ereignissen, angefangen beim Vormärz bis zur „Landesherrlichen Proklamation vom 5. März“, mit der Herzog Adolph die Einhaltung der Forderungen zusicherte.

Weitere Themen waren die Urwahlen und die Nationalversammlung am 18. April 1848 sowie die Deputiertenwahl am 1. Mai 1848 und schließlich das Aufflackern der Revolution auf dem Land. Dabei wurde deutlich, dass es keine Zukunft ohne die geistige Durchdringung der Vergangenheit geben kann und die Identität eines Staatsvolkes auch durch die Geschichte begründet wird, weil seine Menschen Antworten auf die Fragen suchen, woher sie kommen, wo sie stehen und wohin sie gehen wollen.

Karl-Heinz Wolter

Weder dröge noch professoral: Nicht zuletzt an Michael Kotullas anschaulichem Vortragsstil lag es, dass sein Vortrag bestens ankam. Foto: Wolter

Zwei Reformen der Verfassung – und dann?

Rhein-Lahn-Zeitung, 08. Mai 2018:

Geschichte Bielefelder Professor weckt Interesse an einem weiteren Burggespräch – Premiere in historischer Kulisse der Burg

Nassau. „Das Nassauer Land lebt und strahlt bis nach Ostwestfalen.“ Mit diesen Worten begrüßte Landrat Frank Puchtler den Bielefelder Professor Dr. Michael Kotulla zum Vortrag auf Burg Nassau. Auch „Burgherrin“ Dr. Angela Kaiser-Lahme, Chefin der Generaldirektion Kulturelles Erbe des Landes Rheinland-Pfalz, konnte Puchtler willkommen heißen. So weckte das „Erste Nassauische Burggespräch“ in historischer Kulisse und vor einem interessierten Publikum hohe Erwartungen. Günstige Umstände lassen, wie Stadtbürgermeister Armin Wenzel wünschte, im kommenden Jahr auf eine Fortsetzung hoffen. Denn die Initiatoren des Burggesprächs, der Veranstaltungsort, der Referent, die Epoche und das Thema passten idealtypisch zueinander.

Landrat Puchtler, von Professor Kotulla als „geborener Lokalpatriot“ geadelt, hat als Schirmherr das Burggespräch nach Nassau geholt. Der Bielefelder Lehrstuhl erforscht in einer Mammutstudie die Verfassungsgeschichte der deutschen Länder von 1806 bis 1818, darunter auch die des Herzogtums Nassau. Die G. und I. Leifheit-Stiftung fördert die Forschung und Publikation. Geschäftsführer Ingo Nehrbaß sprach ein Grußwort. Die Stadt als Namensgeberin und Stammsitz der ehemaligen Nassauischen Dynastie ist für jeden Impuls offen. Und letztlich ist der Geschichtsverein ständiger Vermittler des nassauischen Erbes am Ort. Hinzu kommt als Räumlichkeit mit besonderer Atmosphäre der Rittersaal der Burg. Vor diesem Hintergrund konnte Professor Kotulla alle Register seiner Forschungsarbeit ziehen.

Die Verfassungsgeschichte von 54 Staaten, von Anhalt bis Würzburg, erforscht Kotulla mit seinem Team am Lehrstuhl für Öffentliches Recht an der Universität in Bielefeld. Jede Publikation wird etwa 2000 Seiten umfassen. Nassau erschien zunächst nicht als vordringliches Forschungsobjekt. Heute sieht Kotulla das anders. „Nassau ist umwerfend spannend und äußerst ergiebig“, ist sein Resümee. 

Seinen Vortrag „Nassau als Pionier der deutschen Verfassungsgesetzgebung?“ gliederte er in zwei Kapitel. Zunächst referierte er die Ausgangslage, in der sich das Haus Nassau im Übergang des 18. zum 19. Jahrhundert befand. Daran schloss sich die Verfassungsgesetzgebung an, die in zwei Etappen erfolgte. Im Jahr 1814 kam es zu einem Landständeedikt, für Kotulla ein reines „Alibi“, wogegen ein verfassungspolitischer Neubeginn in den Jahren 1815/1816 zur echten Staatsorganisationsreform führte.

Eine Veranstaltung, die nach Fortsetzung verlangt: Der Bielefelder Rechtswissenschaftler Professor Dr. Michael Kotulla (rechts) referiert bei der Premiere der Nassauer Burggespräche über die Verfassungsgeschichte des Herzogtums Nassau. Foto: Markus Hunkenschröder/Uni Bielefeld

Verfassungsgesetzgebung lässt sich ohne den politischen Kontext nicht verstehen. So stellte der Bielefelder Professor die Ausgangslage des Herzogtums Nassau vorweg. Die Nassauer Dynastie war Ende des 18. Jahrhunderts marginalisiert. Sie hatte sich in fünf Linien aufgespalten und das Territorium glich einem Flickenteppich. Erst ein Erbvertrag von 1783 machte der Aufsplitterung ein Ende. 

Gewinner waren die Nassauer bei der Säkularisierung. Sie verloren ihre linksrheinischen Gebiete, erhielten als Entschädigung aber weit mehr an Fläche und Einwohnern. Ein guter „Deal“, wie Professor Kotulla meinte. Doch nach wie vor streckte das revolutionäre Frankreich seine Hand nach Nassau aus. Erst ein Geheimvertrag schafft Sicherheit. Die Rheinbundakte 1806 erklärt Nassau zu einem Staat, die Nassau-Usinger durften sich als Herzöge titulieren, jedoch existierte das Herzogtum unter dem Protektorat Napoleons. Trotz der Liaison mit Frankreich schafften es die Nassauer laut Kotulla nicht, den Code Napoléon zu übernehmen, der die feudale Gesellschaftsordnung hinter sich ließ.

Mit dem Herzogtum beginnt die Nassauische Verfassungsgeschichte, wobei Professor Kotulla deutlich machte, dass es sich dabei um eine rechtliche Grundordnung handelte, die von Edikten über das Militär bis zum Steuerrecht reichte. In Nassau, so Kotullas Einlassung zum Militärischen, wurde die Truppenlieferung für die napoleonische Armee zur Staatsräson. Das ging nicht ohne Widerstand und Tumulte ab. „Auch der Nassauer hat sich nicht alles gefallen lassen“, gab Referent Kotulla zum Besten. Die Steueredikte trafen auf eine völlige Zersplitterung. Ein Sammelsurium von mehr als 900 Steuern und Abgaben wurde im Herzogtum erhoben, bevor schließlich die einheitliche Staatsorganisation eingeführt wurde.

In letzter Stunde vollzog Nassau 1813 den Austritt aus dem Rheinbund. Eine erste Verfassungsreform fand 1814 unter dem maßgeblichen Einfluss des Freiherrn vom Stein statt. Es wurde ein Landständeedikt mit einem Deputiertenausschuss beschlossen. Jedoch waren nur zwei Prozent der Bevölkerung wahlberechtigt und davon nur ein Zehntel als Landesdeputierte wählbar. Den Grund für die Landständeordnung sah Professor Kotulla nüchtern: „Die Landesherren waren pleite, ihre Schulden wollten sie auf den Staat übertragen.“ Die zweite Verfassungsreform 1815/1816 kennzeichnete Kotulla als Neubeginn. Es wurde eine einheitliche Staatsorganisation geschaffen mit einer Zentralverwaltung, die einen Durchgriff bis in den „letzten Winkel“ des Landes erlaubte. Selbst der „Dorfschulze“ wurde ernannt und nicht gewählt, so Kotulla. 

In dieser zweiten Reform erkannte der Bielefelder Professor eine Pionierleistung der Nassauer darin, dass sie eine funktionierende Verwaltung, ein „straffes französisches Modell“, etablieren konnten. Was sich verfassungsrechtlich danach entwickelte, blieb offen und könnte Gegenstand des „2. Nassauischen Burggesprächs“ werden. Mit weniger Fülle ließe das Burggespräch dann einen interaktiveren Gedankenaustausch zu.