7. Nassauer Dialog am 27. Oktober 2023

Grußwort von Herrn Dr. Josef Peter Mertes / Stellvertretender Vorsitzender der G. u. I. Leifheit-Stiftung

Sehr geehrte Anwesende,

„Dieses große Volk wird genau so weiter aushalten wie bisher, es wird wieder aufblühen und wird gedeihen. So lassen Sie mich denn als Allererstes meine feste Überzeugung bekunden, dass das Einzige, was wir zu fürchten haben, die Furcht selbst ist – die namenlose, blinde, sinnlose Angst, die die Anstrengungen lähmt, deren es bedarf, um den Rückzug in einen Vormarsch umzuwandeln.

Diesen Auszug aus der Antrittsrede des US-Präsidenten Franklin Delano Roosevelt aus dem Jahr 1933, in der er vor der Furcht warnt, die lähmend auf die Gesellschaft und Wirtschaft wirkt, habe ich für mein Grußwort gewählt, weil wir derzeit in ähnlich schwierigen Zeiten leben – und dies in vielerlei Hinsicht. Es gilt daher immer wieder Mut zu machen und ohne Furcht zu agieren. Es gab in der Tat schon schwieriger Situationen für die Menschen in Deutschland und Europa– und sie wurden bewältigt.

Als wir den 1. Nassauer Dialog im Jahr 2015 veranstalteten, hätten wir uns viele Ereignisse nicht vorstellen können, die heute das tägliche Nachrichtenbild und auch die Politik – „Krisenpolitik“ – prägen. Ich glaube, auch Bundeskanzler Scholz konnte sich das aktuelle Geschehen nicht vorstellen als er 2021 seinen Amtseid ablegte.

Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Korte, ich freue mich auf den Eröffnungsvortrag zum Thema „Veränderung – Regieren und Wählen nach der Zeitenwende“ und begrüße Sie herzlich.

Ich grüße ebenso Herrn Prof. Dr. Henneke als Vertreter der Freiherr-vom-Stein-Gesellschaft, verantwortlich für den 7. Nassauer Dialog und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Ich freue mich, dass die Herren Stadtbürgermeister Liguori (MdL) und VG-Bürgermeister Bruchhäuser da sind und danke herzlich für die gute Zusammenarbeit.

Die G. und I. Leifheit-Stiftung Nassau, für die ich hier spreche, fördert von Beginn an den Nassauer Dialog. Anwesend ist auch unsere Stiftungsvorsitzende, Frau Ilse Leifheit, die ich sehr herzlich begrüße. Ihr ist Nassau und auch der Nassauer Dialog ein besonderes Anliegen.

Den anwesenden Nassauer Bürgerinnen und Bürger muss ich unseren Stifter Herrn Günter Leifheit nicht mehr vorstellen, denn viele kannten ihn persönlich als Unternehmer, Mitbürger und Unterstützer bei vielen Anliegen. Heute gibt es kaum eine größere oder kleinere Maßnahme in ihrer schönen Stadt, die wir nicht als Stiftung fördern.

Den am Nassauer Dialog Teilnehmenden werden wir ein Buch überreichen, das Ihnen unsere Stifterpersönlichkeit vorstellt. Schauen Sie einmal rein und sie erfahren viel über diese hoch interessante und für Nassau so wichtige Persönlichkeit und auch über unsere Stiftung, die uns die Mittel gibt in seinem Sinne Gutes zu tun, insbesondere in den Bereichen Kultur, Geschichte, Bildung und Förderung der Gesundheit älterer Menschen.

Unser Stifter, der im Jahr 2009 verstorben ist, würde sich sicher darüber freuen, dass so vielen junge Menschen gekommen sind um am 7.  Nassauer Dialog teilnehmen. Ich hoffe, dass die Veranstaltung für alle Teilnehmenden mit einem reichen Ertrag beendet wird.

Günter Leifheit war als Unternehmer erfolgreich, hat Arbeitsplätze in dieser Region geschaffen. Wagemut, Überzeugungskraft und Beharrlichkeit waren dafür erforderlich und der nachhaltige Erfolg hat ihm Recht gegeben.

Wir setzen als Stiftung sein Werk in vielerlei Hinsicht fort, ob mit dem Leifheit-Campus, einer Einrichtung für das Betreute Wohnen älterer Menschen, der Förderung eines Hospizes und einer Stiftungsprofessur zum Thema „Geriatrie“, aber auch mit vielen größeren und kleineren Fördermaßnahmen in den Bereichen Kultur, Bildung, Soziales, Hilfen für alten Menschen.

Gerade in der aktuellen Situation verfolgen wir alle mit Spannung die Entwicklungen in unserer Gesellschaft.  Von der Zuversicht, mit der wir die Zukunft angehen sollten, habe ich schon gesprochen. Wir alle, aber insbesondere auch jüngere Menschen sind ebenso gefordert, uns einzubringen in die aktuellen politischen Diskussionen. Die jungen Menschen, die am Nassauer Dialog teilnehmen, wollen und müssen ihre Zukunft gestalten.

An dieser Stelle möchte ich Mahatma Gandhi zitieren:

Mahatma Gandhi: Quit India (8. August 1942)

„Aber es ist meine Überzeugung, dass diese Kämpfe, die mit der Waffe der Gewalt ausgefochten wurden, das demokratische Ideal verfehlt haben. In einer Demokratie, wie sie mir vorschwebt, eine Demokratie, die auf Prinzipien der Gewaltlosigkeit beruht, werden alle dieselben Freiheiten haben. Jeder wird sein eigener Herr sein. Diesen Kampf um eine solche Demokratie zu begleiten, dazu lade ich euch ein.

Wir wissen sehr genau, dass „Demokratie“ nicht automatisch funktioniert, sondern stets Beschützer und Bewahrer braucht.

Ein Blick in die Welt zeigt uns auch, dass unsere Staatsform nicht selbstverständlich ist.

Unsere Regierung ist wahrlich nicht zu beneiden angesichts der vielen Krisen und schwierigen Entwicklungen, die sich für die nächsten Jahre abzeichnen. Ich habe, wie viele der älteren Menschen hier im Saal, viele erlebt seit ich in den 60er Jahren begonnen habe, politisch zu arbeiten.

Seit der Jahrtausendwende will ich nur nennen: Bin Ladens Angriff auf die USA und der Krieg in Afghanistan, die Bankenkrise, die Flüchtlingskrise 2015 und heute, Corona und die Folgen, die Klimakatastrophe und nun auch noch die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten, mit allen Folgen auch für unser Land.

Das Erstarken des Nationalismus in Europa, die Wahlergebnisse für Populisten jeder Art; sie machen mir Sorgen. Auch wenn es dann wieder gute Momente gibt, wie die Wahlergebnisse in Polen in der letzten Woche.

Mein Eindruck: So viele Krisen wie im Moment waren selten. Nach Lösungen wird gesucht.

Ich bin sehr gespannt, was Sie, Herr Prof. Korte zum „Veränderung – Regieren und Wählen nach der Zeitenwende“ sagen werden.

Ganz herzlichen Dank, meine sehr verehrten Damen und Herren, dass Sie mir zugehört haben.

Ich wünsche einen reichen Ertrag für alle, die an den Diskussionen des 7. Nassauer Dialogs teilnehmen.

Abendvortrag des 7. Nassauer Dialogs voller Erfolg

Der Vortrag zum Thema „Veränderung – Regieren und Wählen nach der Zeitenwende“

lockte rekordverdächtig viele interessierte Zuhörer in die Stadthalle Nassau

Im Rahmen des zum 7. Mal stattfindenden Nassauer Dialogs fand der Abendvortrag zu einem aktuellen Thema – mit großzügiger Unterstützung der G. und I. Leifheit Stiftung – am Freitag, den 27. Oktober 2023 in der Stadthalle Nassau statt.

Der renommierte Politikwissenschaftler Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte von der Universität Duisburg-Essen referierte dabei in kurzweiliger, informativer und mit humoristischen Einlagen gespickter Form zum Thema „Veränderung – Regieren und Wählen nach der Zeitenwende“ zur Lage des politischen Systems in Deutschland.

Der Begriff der Zeitenwende ist seit der Regierungserklärung von Bundeskanzler Olaf Scholz vom 27.2.2022 als Reaktion auf den Einfall Russlands in die Ukraine fraglos eine der am häufigsten verwendeten, modischer Weise überhöhten politischen Vokabeln der Gegenwart. Derartige Umschlagpunkte der Geschichte gab es freilich auch früher schon. An der Lahn, in Bad Ems und Nassau, lässt sich das besonders intensiv nachempfinden. In Nassau, dem Geburtsort des Freiherrn vom Stein, in das dieser nach der Niederlage Preußens gegen Napoleon 1806 und seiner Entlassung zu Beginn des Jahrs 1807 zurückkehrte, steht der von Stein in späteren Jahren im Gedenken an den Sieg in den nachfolgenden Befreiungskriege errichtete Freiheitsturm, und in Bad Ems erinnert ein Statue des damaligen König Wilhelm von Preußen an einen Vorgang („Emser Depesche“), der mittelbar zum deutsch-französischen Krieg und in der Folge zur Gründung des Deutschen Kaiserreichs führte. An diesen historischen Orten treffen sich Jahr für Jahr auf Einladung der Freiherr vom Stein-Gesellschaft mit Unterstützung der G. und I. Leifheit-Stiftung junge Führungskräfte, um sich ein Wochenende lang über aktuelle Fragen auszutauschen. Den Beginn der Veranstaltung markiert stets eine Abendvortrag, der auch der Öffentlichkeit zugänglich ist. In diesem Jahr war es der Politikwissenschafter Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte, den der Präsident der Freiherr vom Stein-Gesellschaft, Prof. Dr. Hans-Günter Henneke, am 27.10.2023 gemeinsam mit dem Stellvertretendem Vorsitzendem der G. und I. Leifheit-Stiftung, Dr. Josef Peter Mertes, und dem Bürgermeister von Nassau, Manuel Liguori, vor zahlreich erschienenem Publikum in der Nassauer Stadthalle empfangen konnte.

Korte, nicht zuletzt durch seine Wahlanalysen im ZDF bekannt, sprach über die Veränderungen, die es im politischen Systems Deutschlands nach der „Zeitwende“ gegeben hat. Eine dieser Veränderungen, hatte sich erst wenige Tage zuvor mit dem Austritt von Sahra Wagenknecht aus der Partei DIE LINKE und der damit verbundenen Ankündigung, eine eigene, neue Partei gründen zu wollen, quasi in einem Paukenschlag manifestiert. Ob sich diese neue Partei dauerhaft wird etablieren und welche Stimmenanteile sie wird erzielen können, bleibt abzuwarten. Auf erheblichen Zuspruch stößt dagegen derzeit am rechten Rand des Parteienspektrums die AfD, deren Ergebnisse in den bayerischen und hessischen Landtagswahlen am Wochenende zuvor mit Zuwächsen um 4,4 auf 14,7 Prozent (Bayern) bzw. um 5,3 auf 18,4 Prozent (Hessen) ein deutliches Zeichen gesetzt hatten. Der große Verlierer dieser Wahlen ist dagegen die Berliner Ampel, deren Stimmenanteil in Bayern um 6,8 Prozent und in Hessen sogar um 12,2 Prozent gesunken ist.

Korte führte diese Verluste nicht zuletzt auf den Umgang der Koalition mit dem sog. „Heizungsgesetz“ zurück. Dadurch sei das Vertrauen in die Regierung, deren Krisenmanagement nach Kriegsbeginn auch deshalb so gut gelungen sei, weil die Koalitionsparteien im Sinne eines gelingenden und dynamischen Miteinanders vielfach über ihren eigenen Schatten gesprungen seien, nachhaltig gestört worden. Auch die derzeitigen politischen Antworten auf die Migrationsfrage stärkten die AfD.

Glaubt man Korte, so muss sich dieser Trend keineswegs fortsetzen. Die Deutschen seien „Extremisten des Normalen“. Sie neigten nicht dazu, polarisierenden Persönlichkeiten ihre Stimme zu geben, sondern setzten vielmehr auf verlässlich, wenig spektakuläre Verwalter der Macht sowie auf Kontinuität. Dass Scholz der „merkeligste“ der Kanzlerkandidaten war, habe ihm nicht geschadet, sondern genutzt. Auch jetzt noch dominierten mit weitem Abstand die Parteien der Mitte – eine Besonderheit des deutschen politischen Systems. Diese hätten es im Übrigen auch in der Hand, die AfD wieder zurückzudrängen. Dazu brauche es bspw. einer anderen Migrationspolitik und mehr Investitionen in Infrastrukturen. Auch die anstehenden Transformationsentscheidungen müssten nicht zu einer politischen Radikalisierung führen. Dazu bedürfe es aber Transparenz, besserer Erklärungen, faire Lösungen und vor allem sei es erforderlich, die Mitte der Gesellschaft mitzunehmen – alles Aspekte, die bei der Erarbeitung des Heizungsgesetzes nicht ausreichend beachtet worden seien. Ob sich die Berliner Ampel von ihrer aktuellen Krise nochmals erholen werde, sei offen; insgesamt bestehe aber Anlass, mit großer Zuversicht auf die künftige politisch Entwicklung Deutschland zu blicken. Eine Zuversicht, das zeigten die durchaus kritischen Nachfragen aus dem Publikum, derzeit nicht von jedem geteilt wird.

v.l.n.r.: Sebastian Graf von Kanitz, Schloss Nassau, Verbandsbürgermeister Bad Ems-Nassau, Uwe Bruchhäuser, Matthias Lammert MdL, Vizepräsident des Landtags Rheinland-Pfalz, Bürgermeister der Stadt Nassau, Manuel Liguori MdL, Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte, Prof. Dr. Hans-Günter Henneke, Präsident der Freiherr-vom-Stein-Gesellschaft, Ilse Leifheit, Vorstandsvorsitzende der G.u.I. Leifheit-Stiftung und Dr. Josef Peter Mertes, Stellv. Vorsitzender der G. u. I. Leifheit-Stiftung (Bildrechte: Stein-Gesellschaft/Minor)